Chaotisches Gelaber & unkontrollierte Kommunikation

December 26th, 2006

Ein letzter Hinweis auf meine beiden Vorträge auf dem 23c3:

  • ‘Funkerspuk’: Über die deutsche Angst vor unkontrollierter Kommunikation am Beispiel der Unterschiede der Radiopolitik in den verschiedenen deutschen Staaten und den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
  • Chaos und Kritische Theorie: Zusammen/im Zwist mit Classless über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kritischer Theorie und Diskordianismus

Dazu gibz wieder lecker Bücherstand…

Die Karte ist richtig, das Territorium falsch?

December 26th, 2006

The fundamental malaise of modern Islam is a sense that something has gone wrong with Islamic history. The fundamental problem of modern Muslims is how to rehabilitate that history: to set it going again in full vigour, so that Islamic society may once again flourish as a divinely guided society should and must.

Wilfred Cantwell Smith, zitiert von Daniel Pipes – und zwar in einem Blogposting, das es an erstaunlichen Stellen schafft, das Wörtchen ‘Rassismus’ nicht in den Mund zu nehmen, ja das damit bezeichnete Phänomen gar nicht anzudenken, obwohl es sich mit einigen Studien zur Benachteiligung und/oder gesellschaftlichen Lage von Muslimen in verschiedenen Staaten und Zusammenhängen beschäftigt. Das Zitat von Smith ist aber wirklich hübsch, und was die Wikipedia noch von ihm weiß klingt auch nicht blöd:

In Smith’s most celebrated work, The Meaning and End of Religion, he argues that practitioners of a religion do not think of their faith practice as a religion unless they have begun to see it from the perspective of an “outsider”.

Auswandern um des Lachens willen/ All hail Kulturimperialismus

December 18th, 2006

Zwar hakt es gerade bei der Ironie noch etwas, aber trotzdem können wir die Anglifizierung des deutschen Humors als einen der größten Siege des Kulturimperialismus verbuchen.

bzw.

Der größte Gegensatz besteht aber beim Militär. Soldaten wird in Deutschland kein Humor zugestanden, denn Krieg ist eine ernste Sache. Daher fallen deutsche Journalisten auch regelmäßig in Ohnmacht, wenn ein britischer oder amerikanischer Militärsprecher bei einer Pressekonferenz ein Bonmot macht. Wie menschenverachtend! heißt es dann gerne. Die nehmen das nicht ernst! Die verstehen überhaupt nicht, wie schrecklich Krieg ist!

USA erklärt die Einschränkungen ‘deutschen Humors’.

Musikwissenschaftlerparanoia

December 12th, 2006

Frage: Darf man Rap nicht vielmehr als ernsthaften, musikalischen Ausdruck der jungen, afroamerikanischen Gesellschaftsschicht verstehen?

Miehling: Ich würde nicht von „der“ jungen afroamerikanischen Gesellschaftsschicht sprechen. Gangstarap ist aber in der Tat der musikalische Ausdruck einer kriminellen Subkultur. Unsere Kinder und Jugendliche übernehmen mit der Musik auch die Werte dieser Subkultur.

Der Absurditätsquotient dieses Interviews ist zu hoch, um hier in eine handliche Zusammenfassung gepresst zu werden. Lest selber, und verratet mir, was ihr daran am bemerkenswertesten findet.

Arbeitsethos ohne Kapital und Afrika, der Phantomkontinent

November 28th, 2006

Im Anschluss an einen Vortrag über ‘Arbeitsethos und technische Entwicklung’ im Rahmen des Colloquiums ‘Herausforderung Technik’ (pdf) musste sich Prof. Karl Heinz Metz die Frage gefallen lassen, ob und wenn ja, wie, sich seine Erkenntnisse über die Geschichte von Technik und Arbeit über die westliche Welt hinaus verallgemeinern lassen. Die Fragerin erwähnte auch, dass sie in den letzten Jahren bei solchen Vorträgen immer mehr den Eindruck bekäme, dass es die nicht-westliche Welt gar nicht gäbe. Prof. Metz und Prof. Poser, der Veranstalter, redeten sich im wesentlichen damit raus, dass es das entsprechende Detailwissen über historische Vorgänge in anderen Gesellschaften eben nicht gäbe, und man denen ja erstmal Geschichtsbewußtsein beibringen müsse, bevor man überhaupt eine Arbeitsgrundlage hätte.

Ein anderer Mensch aus dem Publikum sprach vom Kapital, dass noch weitesgehend in der westlichen Welt konzentriert sei und erntete vehementes Kopfschütteln. Kapital habe ja mit Arbeitsethos nichts zu tun, Kapital würde gar nichts ausrichten ohne die entsprechende Arbeitsmoral, und Wissen können man nicht kaufen. Ups, doch, nun ja, dann hilft es einem halt nicht, Wissen zu kaufen, wenn die Arbeitsmoral nicht schon da ist etc. Der nächste warf in den Raum, dass wir ehemaligen Kolonialmächte doch gegenüber den ehemaligen Kolonien eine Schuld zu begleichen hätten, und ob es nicht sinnvoll sei, diesen das durch verschiedene Gesetze zum Geistigen Eigentum geschützte technische Know-How schlicht kostenlos zur Verfügung zu stellen. Diesesmal bestanden die Ausflüchte darin, dass das eigentlich Problem in Afrika ja nicht das fehlende Know-How (oder Kapital) sei, sondern die Herrschaftsstrukturen bzw. die ‘fehlende Rechtssicherheit’. Mit der die ehemaligen Kolonialmächte natürlich rein gar nichts zu tun haben.

Fazit: Die faulen Afrikaner sind selber Schuld, wenn es ihnen scheisse geht, müssen sich nur mal ein bisschen zusammenreißen, den Laden aufräumen und sich ne vernünftige Arbeitsmoral zulegen ist ja wohl nicht zu viel verlangt, und wir, ja wir haben da überhaupt nichts mit am Hut. Es gibt nichts zu sehen.

Weltkatastrophe in den sanften Hügeln des Odenwaldes

November 25th, 2006

odenwald
Auf dem Weg von dem kleinen Städtchen Weinheim in das noch kleinere Dorf Löhrbach klärte mich vorgestern ein Taxifahrer auf: Die allgemeine Weltkatastrophe (Flut, Stürme, Erdbeben, Kometen und so) sei hier schon konkret zu beobachten, da ja offensichtlich die umgebenden Berge rapide schrumpfen würden. Denn da ‘wir’ daran gescheitert seien, die Amerikaner und Chinesen von ihrem furchtbaren Wirtschaften abzuhalten, hätte sich der Nordpol bereits um 15° erwärmt, was dazu geführt habe, dass sich die Berge richtung Norden absenken. Früher seien diese (die Hügel des vorderen Odenwaldes, die ich seit nun 21 Jahren regelmäßig vor Augen habe) noch richtige Berge gewesen, man wäre noch durch richtige Täler gefahren.

Während er dies sprach deutete er auf einen Hügel, von dem ich sehr klar erinnere, dass er in den letzten zwei Jahrzehnten immer nur ein Hügel gewesen ist, weil genau dort ein guter Freund von mir wohnt. Aber nein, das merke alles nur keiner, weil die Menschen so ein schlechtes Gedächtnis hätten. Man könne das von der Bahnhofsbrücke in Weinheim sehr gut beobachten: Noch vor elf Monaten hätte man von dort richtung Heidelberg den Kaiserstuhl sehen können, das sei jetzt nicht mehr möglich. Meinen Verweis auf die Rolle von ‘Diesigkeit’ – auch die andere Seite der Rheinebene sieht man manchmal und manchmal nicht – wollte er nicht hören. Als sich herausstellte, zu welchem Haus in Löhrbach ich wollte, grinste er breit und meinte: “da bei den Iblen aus dem wald, gell”, bis ihm klar wurd, dass ich die ‘Iblen aus dem Wald’ wohl gar nicht so übel finde, wenn ich ausgerechnet da hin will.* Er war sehr entäuscht als ihm dämmerte, dass ich dabei war auszusteigen ohne dass er mich hatte überzeugen können und es wohl wirklich kein Trinkgeld geben würde.

*Das bestätigte mal wieder meine Vorurteile darüber, was die Leute in der Gegend über meine Eltern denken.

Die Arbeit, das Glück und das virtuelle Sommerloch

November 22nd, 2006

Obwohl ich diesen Sampler wirklich gerne hätte (und ja, ich meine an der Stelle ausnahmsweise wirklich das verkaufte Objekt mit Cover, Booklet und allem), schreckt mich dieses Gespräch mit Holm Friebe und Anton Landgraf über die ‘digitale Bohème’ in der Jungle World mal wieder davon ab, den Abozettel auszufüllen (ich konnte noch nie ein Abo abbestellen, weil ich noch nie eins hatte). Weil, das ist sie einfach nicht, die Subversion:

Holm Friebe:… ich glaube, dass von der digitalen Bohème auch eine subversive Wirkung ausgeht. Selbst wenn nicht alles eitel Sonnenschein ist, sind die Leute zufriedener. Und dadurch, dass es einem sichtlich besser geht, provoziert man jene, die noch in den Konzernen sitzen und im Rattenrennen mitmachen. Man bringt sie dazu, dass sie sich fragen: Woher kommt dieses breite Grinsen?

Im besten Fall belanglos, wird hier gequirlte Scheisse wie diese schlicht durchgewunken:

Es gibt Schnittstellen zum Kapitalismus, weil die Konzerne auf viele Dinge angewiesen sind, die in diesen Bereichen produziert werden. Das sind Produkte, die Konzerne nur schlecht herstellen können, weil sie ein gewisses hedonistisches und respektloses Selbstverständnis benötigen.

Der Kapitalismus sind also nur die großen Konzerne. Schon klar. Einfache Warenproduktion 2.0 sozusagen.

Andererseits steht eine Seite vorher eigentlich schon der Kommentar dazu: Schön und jung und stark – Wie jede Schicht, die einen materiellen Niedergang erfährt, schwanken die Kopfarbeiter zwischen Rebellion und Reaktion. Hierzulande überwiegt derzeit die Reaktion.

Pluralismus ist eben echt so ne Sache. Andreas Hartmann ist aber schlicht schlecht wie eh und jeh, wenn er sich unter anderem freut, dass der neue James Bond wieder ein richtiger Kerl ist und über die Kritik an ‘Borat’ kumpelhaft verkündet:

Wir wollen das alles nicht mehr hören und nicht mehr darüber sprechen. »Borat« ist die lustigste Komödie seit Jahren und völlig verdient so erfolgreich, und basta. Wer das anders sieht, hat ganz einfach Unrecht.

Das alles erinnert mich daran, dass Annalee Newitz zuletzt in einer Kolumne über Glücksforschung (die gerne herausfindet, dass Geld nicht glücklich macht), ein Detail erwähnte, dass in der deutschen populärwissenschaftlichen Berichterstattung darüber kaum vorkommt:

The only time people’s subjective well-being rises as a result of cash is when the money takes them out of poverty.

Und ja, ich schreibe über diese Dinge vor allem, weil in meinem Kopf gerade Sommerloch ist…

Neutralität heute

November 16th, 2006

Von “Märtyrern” oder “Terroristen” war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Tatsächlich wurde in einem Bericht aus dem Irak der betont neutrale Begriff “Guerilla” verwendet.

SPON

Ich schaue in die Sterne …

November 13th, 2006

Ein Astrolab - Vorderseite und Rückseite

Meine Bloggerei ist gerade deutlich gehemmt, weil ich im Laufe dieser Woche ca. 110 Studenten erklären muss, wie dieses wunderschöne Instrument eigentlich funktioniert, was all diese Linien zu bedeuten haben und wie man damit herausfindet, wie deprimierend früh es zur Zeit schon dunkel wird. Und bei den Vorbereitungen dazu konnte ich sogar ein (eigenes) Vorurteil korrigieren.

P.S. Dieses theoretisch bereits im späten antiken Griechenland erfundene Gerät hat nach der herkömmlichen Geschichtsschreibung bloß überlebt, weil es in der Zeit zwischen den Griechen und dem Mittelalter in der arabischen bzw. islamischen Welt bewahrt wurde, u.a. da man damit zu jeder Tages- und Nachtzeit die Zeit, also auch die korrekte Gebetszeit, sowie die Gebetsrichtung feststellen kann.

Vokabular

November 10th, 2006

Heute stellte ich fest, dass es keine direkte englische Übersetzung für das deutsche Wort ‘mitmachen’ gibt (je nach zusammenhang kann man zwischen ‘to accede’, ‘to take part (in)’, ‘to join’ und ‘to experience’ wählen). Desweiteren habe ich gerade gelernt, dass das altgriechische Wort, das sich ungefähr mit ‘faulos’ transkribieren lässt, mit ‘schlecht, minderwertig’ übersetzt wird. Und schon längere Zeit belustigt mich der Umstand, dass ausgerechnet eine bestimmte deutsche Formulierung zu einem üblichen Lehnwort im Ungarischen geworden ist: ‘muszáj’ heißt nichts anderes als ‘Es muss sein’.

Meine völlig unqualifizierten Vermutungen (ich habe noch nicht einmal ein etymologisches Wörterbuch greifbar) lauten:
Im deutschen Kulturraum wird das ‘mitmachen’ als wichtig genug empfunden, um dafür ein eigenes Wort zu haben, während faul hier nichts anderes bedeutet als ‘schlecht, minderwertig’, und das ‘sein müssen’ hat in Ungarn anscheinend eine Lücke gefüllt.

Gibt es vielleicht ein halbwegs empfehlenswertes Buch, dass sich mit den semantischen Eigenarten der deutschen Sprache beschäftigt?