Die schreckliche deutsche Sprache

Deutsch Sprech #2
Wieder dreht es sich um
Hans Müller
Das ist unser Deutsch – Ein Zeitspiegel
Langensalza 1937

und die Links führen zu den Scans zum selber lesen.

Das Inhaltsverzeichnis warnt vor dem stillosen Fremdwort, verkündet ihm den Kampf, spricht von seiner ‘Zaubermacht’ und fordert ganz schlicht: “Im neuen Deutschland sauberes Deutsch!” Darauf folgt dieses Gedicht:

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Wir begreifen also spätestens jetzt: richtiges Deutsch ist ‘rein und edel’, Deutsch das deutsches verkündet soll dem Deutschen heilig sein und befreit von fremdem Einfluss, ein Forscher oder Dichter, der Fremdworte benutzt um sich auszudrücken ist ein ‘Fremdenknecht’ bzw. ‘fälscht’.

Die Ode an die Muttersprache beschreibt die ‘Gewalt’ dieser Sprache:

Zu wuchtiger Einsilbigkeit geballt, fest und unerschütterlich wie deutsche Eichen stehen sie da: der deutsche Kampf und die deutsche Kraft, der Trotz und der Erfolg, Kern und Mark, Schwert, Sturm, Fels und Burg.

Es fällt mir schwer diese Sätze zu lesen ohne dass der Horror des Wissens um den tatsächlichen ‘deutschen Kampf’ und die Verwirklichung der ‘deutschen Kraft’ mir in die Knochen kriecht. Die Penetranz der Analogie vom ‘Mutterboden’ und dem fremdstämmigen ‘Unkraut’ erscheint fast wie eine Parodie, ebenso wie die ständige Rede von ‘Kern’ und ‘Natürlichkeit’:

Jahrhundertelang hat unser Volk den edlen Acker unserer Sprache verkommen lassen.
[…]
Endlich aber wird es Zeit, daß wir nachholen, was frühere Geschlechter versäumt haben: Kampf dem Fremdwort! Kampf auch aller Unnatur, allem Falschen und Häßlichen, das unsere schöne Sprache entstellt!

Sogar in diesem kleinen Traktat über die Sprache wird die verzerrte deutsche Selbstwahrnehmung deutlich; der Glaube, bedroht zu sein, und sich doch nur zu wehren:

Wir alle wollen mithelfen, das bedrohte Kleinod unserer Muttersprache zu retten, uns immer eifrig bemühen, in Wort und Schrift das Fremdgewächs auszurotten, das, frech emporschießend, die edlen einheimischen Gewächse erstickt.

Immer wieder erschrecke ich über die Gewalttätigkeit dieser Sprache, über die Gründlichkeit, mit der sie von Kampf und Chauvinismus durchdrungen ist, obwohl es doch eigentlich nur um ein paar kleine Fremdworte geht.

Das nächste Kapitel, “Im neuen Deutschland sauberes Deutsch!“, wendet sich direkt an all die Personen, die sich von dem Büchlein angesprochen fühlen sollen: dem ‘Tagesschriftsteller’, der jetzt kein ‘Journalist’ mehr ist, wird davon abgeraten, zu ‘propagieren, organisieren, agitieren und dokumentieren’

Soll ewig weiter dementiert, debattiert, konferiert und kommentiert werden? Nein, denn im neuen Deutschland wird deutsch gesprochen!

Der Anhang klärt über die richtigen deutschen Worte auf (Reihenfolge wie im obigen Zitat):

  • widerrufen/berichtigen
  • verhandeln/sich besprechen/sich aussprechen
  • beraten
  • erläutern/erklären/deuten

Wie wenig der vorgeschlagene Deutsch Sprech die Bedeutung des Wortes ‘debattieren’ erfasst lässt Rückschlüsse darüber zu, was mit ‘richtigem’ Deutsch überhaupt noch ausgedrückt werden kann oder soll, und auch einen Kommentar zu einer Erklärung bzw. Deutung zu reduzieren verrät, wie wenig hier von einer Diskussion gehalten oder auch nur verstanden wird. Deutsche Diskussionskultur ist keine.

Weiter soll der ehemalige Pädagoge, jetzt Jugenderzieher, sich nicht mehr um die Psyche, sondern um die deutsche Seele seiner Schutzbefohlenen kümmern, und folglich auch nicht mehr der modernen psychologisch orientierten Individualpädagogik anhängen, denn so ein ‘latein-griechischer Mischmasch’ gehört sich jetzt nicht mehr, sondern zeitgemäß der heutigen auf das Seelenleben gerichteten Einzelerziehung. Der Deutschlehrer, der ja wohl kein Germanist, sondern ein Deutschkundler ist, soll nicht mehr von Impulsen und Motiven reden, wo er Triebe und Anreize meint. Auf der nächsten Seite wird der Geschichtslehrer ermahnt:

Der erste Mai mahnt uns jedes Jahr wieder, den Klassengegensatz im deutschen Volke zu überwinden. […] Das Fremdwort spaltet das Volksganze in “Gebildete” und “Ungebildete”. Die Muttersprache aber schließt uns zusammen.

Die Hausfrau soll sich ihres Salons, der Vitrine u nd der Jalousien entledigen, ebenso der Garderobe, Maniküre und des Parfüms. Duftwasser tut es doch auch. Also, wenn es schon unbedingt sein muss, dass ihr Frauen den Mund auf macht:

Darum überall, wo ihr uns etwas zu sagen habt, deutsche Frauen, sprecht deutsch!

Und schließlich dürfen ‘wir alle’ nicht vergessen:

… es trauert in unserm Vaterlande immer noch eine Einsame, lieblos Verlassene, die unter die Mörder gefallene Muttersprache.

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