Appeasement oder Frieden?
Zu einer Veranstaltung über “Unmoral und Heuchelei des selektiv antiwestlichen Pazifismus” der Freunde der offenen Gesellschaft
Angenehmerweise redete der Moderator Herr Holmes von der FdoG nach einer kurzen Einführung der Refferenten erstmal nicht allzuviel und übergab das Wort an John Rosenthal vom Transatlantic Intelligencer. Der nahm sich Walter Steinmeier als Beispiel für deutsche Heuchelei in Bezug auf Israel und die USA vor. Zwei Stunden nachdem Bush und Merkel zu ihrer Haltung zu der Position von Frankreichs Außenminister Philippe Douste-Blazy (Israels Aktion sei nicht verhältnißmäßig) befragt worden waren und als Antwort Israels Selbstverteidungsrecht betont (Bush) bzw. darauf bestanden hatten, dass Ursache und Wirkung nicht durcheinandergebracht werden dürften und von den beteiligten Parteien forderten ‘Augenmaß’ zu halten (Merkel), sei Steinmeier befragt worden, was Deutschland und die USA gemeinsam tun könnten, um die Situation zu entschärfen. Steinmeier sprach nicht von Ursache und Wirkung, auch nicht von Aggression und Verteidigung, sondern von einer ersten Eskalation (die Entführung eines Soldaten durch die Hamas) und einer zweiten (die Reaktion Israels). Desweiteren kam ihm das Wort ‘Selbstverteidugungsrecht’ nicht über die Lippen, nur ein etwas undeutliches Gemauschel über das Verständnis Deutschlands gegenüber den ‘israelischen Freunden’, dass jedes Land sich verteidigungsfähig halten müsse und nach solchen Vorfällen verteidigt werden müsse. Rosenthal betonte an dieser Stelle, wie diese passive Formulierung fast schon offen läst, wer eigentlich verteidigt, und machte deutlich, dass sie auch ein Szenario ermöglicht, in dem Israel sich selbst nicht mehr rühren ‘braucht’ und statt dessen von einer Schutzmacht (USA? Europa? wtf?) eben ‘verteidigt wird’.
Rosenthal ging auf den Begriff der Verhältnismäßigkeit und die Differenz zwischen dem Alltagsverständnis – ‘wenn die 8 Soldaten getötet und zwei entführt haben, dürft ihr auch 8 Soldaten töten und zwei gefangen nehmen’ – und seiner Bedeutung in der Genfer Konvention ein – in letzterer bezieht sich die Verhältnismäßigkeit eben nicht auf ein ‘so wie du mir so ich dir’, das, konsequent befolgt, dazu führen würde das kein Krieg gewonnen wird (bzw.dazu geführt hätte, dass es nach dem zweiten Weltkrieg schlicht keine deutsche bevölkerung mehr gegeben hätte), sondern auf das zu erreichende Ziel.
Steinmeier war weiter der Ansicht, dass die vielbeschworene Verhältnismäßigkeit von Israel mit den Angriffen auf Infrastruktur verletzt werde. Hier ging Rosenthal hauptsächlich ausführlich auf Steinmeiers Positionen zur Zeit des Kosovo-Krieges ein – kurz gesagt: Nein, wir brauchen keine UN-Resolution, um zu bomben und ja, die Zerstörung von Infrastruktur ist gerechtfertigt. Das Fazit war, dass in der deutschen Außenpolitk gerade zwei Fraktionen miteinander ringen, hier verkörpert durch Merkel und Steinmeier, und, dass Steinmeier auf die eigenen Aktionen andere Kriterien anwendet als auf die der USA/Israels. Eine unbefriedigende Pointe, wenn man den zweiten Teil doch auch einfach mit ‘Steinmeier ist ein Politiker’ zusammenfassen könnte, oder oldschool: “Surprise! Surprise! The government lies!”, und sich beim ersten sofort die Frage stellt, ob es an der Stelle überhaupt gerechtfertigt ist, von einer Pro-USA, Pro-Israel Strömung zu sprechen, wenn es doch eher den Anschein hat, als ob Merkel selbst in dieser Frage im Widerspruch zu mehr oder minder allen Parteien und mindestens 3/4 der deutschen Bevölkerung steht. Wunschdenken? Moralismus ist zu viel vom Falschen.
Als zweiter Redner ergriff Wahied Wahdath-Hagh (Middle East Media Research Institute) das Wort. Er wies darauf hin, dass die Idee des Exports der islamischen Revolution, deren Kind die Hizbullah ist, keinesweg eine der iranischen ‘Hardliner’ sei, sondern vielmehr dem Kreis der linksislamischen Reformer entstammen würde, und auf den Ablenkungscharakter der gegenwärtigen Aktionen der Hizbullah vom iranischen Atomprogramm. Seiner Meinung nach läge die Ursache für diesen Krieg in der jahrzehntelangen Förderung totalitärer islamistischer Organisationen, wie z.B.durch die deutsche Außenpolitik. Er hatte angekündigt, zwei Friedensmodelle vor zu stellen, ich haben nur eines bemerkt: Chatamis Friedensmodell.
Es ist sehr einfach. Israel gibt es nicht mehr, islamische Revolution überall, dann kann das auch eine atomwaffenfreie Zone werden und es herrscht eben Frieden.
Wahdath-Hagh erklärte, dass es im Iran den Glauben gegeben habe, dass mit der Wahl der Hamas und der Stärke der Hizbullah die islamische Revolution in Palästina, die diesen ‘Friedensprozess’ endlich einleiten werde, unmittelbar bevor stünde.
Zuletzt erzählte Thomas von der Osten-Sacken (Wadi e.V.) einige Anekdoten über die Deutschen, den Krieg und den Frieden, erläuterte, dass die Situation im Nahen Osten Europa eigentlich wesentlich mehr interessieren müsste als die USA, schon allein wegen der geographischen Nähe und des höheren Anteils von islamischen Einwohnern, deren ideologische Entwicklung in den nächsten Jahrzehnte nicht zu einem Problem werden müsste, aber eben durchaus könnte. Der Islamismus sei eben kein regional begrenztes Problem. Statt dessen tue Europa so, als ob es das alles nichts anginge. Gerade angesichts der immensen wirtschaftlich/demographischen Probleme, die auf die Region zukämen (Osten-Sacken sprach von 100 Mio neuen Arbeitsplätzen, die es in den nächsten Jahrzehnten [ich habe die Zeitangabe nicht genau mitbekommen] für die nachdrängenden Jugendlichen bräuchte), wäre etwas anderes als ‘kritischer Dialog’ notwendig, durch den letztlich alles beim alten bleibt. Aber wie wenig Europa ein Konzept zur Unterstützung notwendiger gesellschaftlicher Veränderungen habe, zeige sich schon bei einem Blick auf die Zahlen [welche?]: Europa gäbe nämlich im Nahen Osten 20 mal mehr Geld für die Bewahrung von Altertümern aus als für Demokratisierungsprojekte [was ist das, außer Wadi e.V. selber?].
Während der anschließenden Diskussion drehte es sich hauptsächlich um Verständnisfragen – Ja warum bombt Israel nicht gleich mit Iran und Syrien die wahren Verursacher? Und warum wird denn Infrastruktur zerstört? Holms setzte in der Beantwortung einer Frage zu einem Loblied auf die freie Marktwirtschaft an, wurde aber vom Frager sogleich abgewürgt. Er wollte im Stil eines Teenagers, der gerade das eine Buch gelesen hat, das die Welt erklärt, und das jetzt jedem unter die Nase reiben muss, unbedingt noch einen Literaturtip loswerden zu dem Typ, der die Überlegenheit der freien Marktwirtschaft bewiesen habe, worauf der Fragende nur meinte “Jaja, das haben schon viele bewiesen” und mit seiner Bemerkung fortfuhr, dass ihn die Sorge um Israel hierher gebracht habe, und eben diese Sorge seiner Meinung nach im Panel zu kurz gekommen sei. Darauf antwortete v.d. Osten-Sacken mit einem Rückblick auf die letzten 6 Jahre und meinte, dass die dynamischen Entwicklungen seitdem und z.B. auch die im Vergleich zur Zeit der Al-Aqsa Intifada differenziertere Presse in Deutschland Anlass zur Hoffnung gäben. Vorher hatte Hannes Stein aus dem Publikum bereits um gute Nachrichten gebettelt.
Allem Anschein nach kann auch die FdoG nichts dagegen tun, ein doch eher kommunistisches als liberales Publikum anzuziehen. Das wird nächsten Dienstag aber mutmaßlich anders sein, wenn es unter dem Titel “Das Unbehagen am System” um die “Kritik der Kritischen Theorie” geht, und unter anderem der Herr Holms selber redet. Allerdings erscheint schon der Ankündigungstext als Realsatire:
An diesem Abend soll gezeigt werden, dass das extrem unterkomplexe, grotesk verzerrende und düstere Portrait der Realität westlicher Gesellschaften, das die Kritische Theorie zeichnet, dem Bedürfnis nach einer schnellen und einfachen Lösung für alle Menschheitsprobleme entspringt.
Ich bin gespannt…
P.S. Hier ein Text von Rosenthal, der sich stark mit seinem Beitrag überschneidet: Cowboys in Deutschland
P.P.S. Hier Hannes Stein über einige Lehren aus der Veranstaltung:
Was heißt “Verhältnismäßigkeit der Mittel”?
July 22nd, 2006 at 11:04 am
wurde sich da auch an einer erklärung/deutung der deutschen politik versucht? die position eines deutschen sonderwegs in ns-tradition so a la german-foreign-policy (mal polemisch zugespitzt) erscheint mir im lichte der europäischen reaktionen jedenfalls völlig unsinnig (ausser man greift zum wundermittel “deutsche ideologie”, die angeblich jetzt überall vorkommt, wo dem interpreten die politik nicht passt – tautology at it’s best). oder kam das nicht ein “ist halt politik” heraus?
July 22nd, 2006 at 3:31 pm
Naja, es ging eben immer wieder um diese angeblichen zwei Strömungen, die miteinander ringen würden, es ging nicht wirklich darum, warum ausgerechnet jetzt ausgerechnet diese beiden Strömungen sich in der deutschen Politik breit machen. Es wurde weniger gedeutet als Planlosigkeit oder eben Heuchelei vorgeworfen.
July 23rd, 2006 at 11:28 am
Es kann nur eine deutsche Aussenpolitik: die, die europäische Friedenspolitik unterstützt. Israel soll von Europa endlich lernen.
July 23rd, 2006 at 11:46 am
Ganze Sätze zu formulieren ist ja wirklich anstrengend, deshalb vervollständige ich deinen mal: “Es kann nur eine deutsche Außenpolitik geben:…”
Dazu nur so viel: Israel hat mehr von Europa gelernt, als irgendeinem Menschen, der noch ganz bei Sinnen ist, lieb sein kann. Und die Konsequenz daraus ist eben, sich nicht auf Appeasement einzulassen. Die Rede von der “europäischen Friedenspolitik” erscheint mir angesichts der Kumpanei gerade der deutschen Politik mit recht unfriedlichen Regimes nur noch als Hohn. Der so heißgeliebte “kritische Dialog” hat sich spätestens mit Irans Atomprogramm + Vernichtungsdrohungen gegen Israel diskreditiert.
July 23rd, 2006 at 1:08 pm
@Europa von unten:
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