Mustererkennung
Paul Sarostas “Reptiles” ist ein Bildband mit den großartigsten Reptilienphotos, die mir bisher unter gekommen sind. Ich habe eine Schwäche für Bilder von Reptilien, Insekten und Fischen, eigentlich alle Nicht-Säugetiere. Ich kann mich Stundenlang in Schuppenmustern verlieren, die merkwürdigen Formen von Insektenkörpern betrachten. Sarosta fotografiert Reptilien vor schwarzem Hintergrund, gut ausgeleuchtet, in Nahaufnahme, sehr präzise, und ich schwelge. Bis ich anfange, mich zu gruseln. Natürlich sind solche Aufnahmen nur in Innenräumen möglich, wo man die Tiere in schwarze Kästen setzt, maximal einen Stein oder einen Ast als Deko dazu tut, aber nichts, worunter sie sich tatsächlich verstecken können. Die Reptilien werden präsentiert wie Kunstgegenstände; der Glanz auf den Schuppen, den die starke Beleuchtung verursacht, erzeugt teilweise den Eindruck von Wachsfiguren. Ich bin nicht mehr in der Lage zu sagen, ob ich wirklich Lebewesen betrachte, oder nicht doch einfach Statuen, gute Modelliereungen. Die Schlange wird zum reinen Muster (/zur Handtasche), die Reptilien zu abstrakten Formen, während sie doch eigentlich noch leben.
Die Formen und Farben waren von Anfang an das, was mich an diesen Bildern interessiert hat, aber jetzt, im Angesicht dieser fast perfekten Umsetzung, ist mir gruselig. Leben findet sich eben nicht in der Struktur, sondern nur in Bewegung und ihren Spuren. So fremdartig Reptilien auch sein mögen (und so wenig ich Vegetarierin oder ‘Tierbefreierin’ bin), kann ich einen Rest Empathie doch nicht abschalten, und es wird mir unheimlich.
Über die Ausstellung von Bernd und Hille Becher im Hamburger Bahnhof schreibt Classless:
Die Ausstellung “Typologien industrieller Bauten” mit den ultra-objektivierten Ornamentalfotografien von Bernd und Hilla Becher zeigt methodisch angeordnete Fördertürme, Hochöfen, Silos und andere Anlagen, die gemeinhin der Vergangenheit, der Geschichte zugerechnet werden, weil sie in ihrer konkreten Form im Verschwinden begriffen sind. Ihre Funktion ist jedoch nur weiterentwickelt, ihre Bedienung nur angepaßt und ihre obszöne Zumutung an die Menschen nur in andere Länder ausgelagert worden.
Meine Beobachtung während unseres Besuchs war eine andere; in einer der letzten Nächte bin ich (viel zu) lange in SF-online-Comics versunken, und mich erstaunte die Ähnlichkeit mit diesen “im Verschwnden begriffenen” Bauten. Es ist als ob die Darstellung mehr oder weniger apokalyptischer Zukunftswelten sich an ihnen ein Vorbild genommen habe; Darstellungen längst veralteter Technik funktionieren als Kennzeichen einer katastrophalen Zukunft. Classless sprach von der Industrialisierung
Die aus der übersichtlichen Tyrannei der feudalen Landwirtschaft in die neuen Ballungsräume gewanderten Millionenmassen stiegen dort mehrheitlich in dunkle staubige Gruben, in denen viele von ihnen jung starben, oder sie verbrachten die meiste Zeit des Lebens in riesigen Ofenanlagen, die ihnen Hitze und Gifte entgegenwarfen. Der Wert verwüstete ihre Welt nunmehr umfassend und unübersehbar, bescherte ihnen ein Leben im Niemandsland oder den Schrecken der unterirdischen Killing fields.
als dem immernoch wirkenden Katastrophen-Bild, hielt es für nahliegend, dass eine in die Zukunft projizierte Katastrophendarstellung sich dieser Bilder bedient. Ich bin immernoch erstaunt.
(mehr Photos von den Bechers z.B. hier)